Bevor wir den Text Maria Stuart von Friedrich Schiller im Rahmen der Weimarer Klassik analysieren konnten, überraschte uns unser Deutschlehrer mit einer unangenehmen Ankündigung. Wir müssten den bereits korrigierten und erhaltenen Test neu schreiben. Dies aufgrund eines Verdachts auf Schummel, da er angeblich von einem Schüler kontaktiert wurde. Dieser Schüler habe ihn angeblich darauf aufmerksam gemacht, dass viele Schüler während der Probe gespickt hätten. Aufgrund dieses Verdachts müsse die Probe neu geschrieben werden. Die ganze Klasse war schockiert. Alle fragten sich, wer wohlmöglich geschummelt habe und wer den Lehrer darüber informiert habe. Nicht lange nach dem unser Deutschlehrer dies angekündigt hat, hat er das ganze aufgelöst. Das Ganze war eine Intrige, um seine Macht zu demonstrieren. Es sollte nämlich eine Einleitung zum Konzept der Macht sein. Dabei muss ich nicht verheimlichen, dass alle Schüler, mich inbegriffen, erleichtert waren.
Nach dieser schweisstreibenden Einführung, mussten wir uns Gedanken zum Begriff der Macht machen. Was ist sie? Wo tritt sie auf? Worauf ist sie gegründet? …
Aus den Antworten zu diesen Fragen leiteten wir anschliessend ab, dass es diverse Machttypen gibt, und dass ein Individuum wie eine Lehrperson zum Beispiel diverse Machtpfeiler besitzen kann. Also konkret wäre das bei einer Lehrperson die institutionelle Macht, die „intellektuelle“ Macht, das Machtgefälle aufgrund des Alters und weitere Machttypen… Diese Machtpfeiler können aber auch zusammenbrechen, falls diese Machtstruktur aufgekündigt wird. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn eine Lehrperson von ihrer Klasse nicht mehr ernst genommen wird. Sie können aber auch auf eine andere Weise erodieren, zum Beispiel, wenn die Macht nicht mehr legitimiert ist.
Machtlegitimation ist das wichtigste, wenn es um die Aufrechterhaltung einer dieser Machtpfeiler geht. Man kann seine Macht auf göttliche Ursprünge zurückführen und somit legitimieren, wie es Könige im Mittelalter taten. Heutzutage funktioniert das aber meistens anders. In Diktaturen herrscht meistens eher militärische Macht. In den meisten Fällen bricht ein Machtverhältnis zusammen, weil die Legitimation fehlt. Klar, einzelne Individuen können auf eigene Faust das Machtverhältnis aufkündigen, doch das sind meistens Einzelfälle – und die haben zum Teil schreckliche Folgen! Es ist eher so, dass Machtstrukturen strikt eingehalten werden, auch unterbewusst. Es ist sogar noch krasser, denn in den meisten Fällen ist es gar nicht nötig, das Machtverhältnis zu erklären. So erklärt keine Lehrperson, weshalb sie jetzt entscheidet, was zu tun ist, es ist vielmehr eine Selbstverständlichkeit.
Im Text über Maria Stuart geht es darum, dass sowohl Maria Stuart einen Machtanspruch auf den englischen Thron hat, als auch die englischen Königin Elisabeth. Maria wird von ihr jedoch in einen Kerker weggesperrt. Denn es gibt zwei mögliche Königinnen, welche einen Anspruch auf den englischen Thron haben. Ihre Ansprüche basieren aber auf verschiedenen Pfeilern. Während die eine auf die traditionalistische Nachkommens Politik basiert, stützt die andere ihre Macht auf die parlamentarische Entscheidung. Maria Stuart ist die gemäss Nachkommens Politik legitime Nachfolgerin für den englischen Thron. Elisabeth hingegen wird als Bastard gesehen und hat somit keinen Machtanspruch aus einer traditionalistischen Sicht. Elisabeth hat aber die Machtlegitimation des englischen Parlaments, das sie als Königin eingesetzt hat. Dadurch dass Maria ihren Machtanspruch gelten lassen will, prallen zwei Machtkonzepte aufeinander, die religiös legitimierte Nachkommens-Politik und die modernisierte Machtverleihung. Um den Konflikt zusätzlich aufzuspitzen werden die beiden weiblichen Charaktere im Text zusätzlich im gleichen Alter dargestellt. Was so nicht korrekt ist, da die beiden tatsächlich einen Altersunterschied von 15 Jahren hatten.
Diese Altersgleichstellung hat aber einen strategischen Hintergrund. Denn dadurch, dass Elisabeth und Maria gleich alt sind, kann auch ihre Begehrlichkeit verglichen werden. Welche der beiden ist besser darin, Männer für sich zu gewinnen? Marias Anziehungskraft Männern gegenüber ist nämlich viel stärker als die von Elisabeth. Diese sexuelle oder eher zwischengeschlechtliche Macht kommt im Text auch zum Vorschein. Sie spielt sogar eine wesentliche Rolle. So führt Marias Anziehungskraft dazu, dass es zu einem Befreiungsversuch kommt. Dieser scheitert jedoch und Maria wird schliesslich exekutiert.